Sucht und IV: Vieles ist noch offen, Kontakt mit kantonalen IV-Stellen wichtig
19.11.2019 / Anfang August publizierte das Bundesgericht einen wegweisenden Entscheid: Personen mit einer Abhängigkeit können Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung (IV) erhalten. Wie bei psychischen Erkrankungen soll anhand eines Verfahrens geklärt werden, ob sich die Abhängigkeit auf die Arbeitsfähigkeit der betroffenen Person auswirkt. Monika Tschumi, Leiterin Bereich Berufliche Integration im Geschäftsfeld Invalidenversicherung des Bundesamts für Sozialversicherungen BSV, stellte der erweiterten Sitzung der Fachgruppen Stationäre Angebote im Alkoholbereich, Stationäre Angebote im Drogenbereich und Ambulante Beratung vor, was derzeit schon zur Umsetzung des Bundesgerichtsurteils bekannt ist. Zentral ist der IV-Grundsatz «Wiedereingliederung vor Rente». Er bedeutet, dass auch Personen mit einer Abhängigkeit nicht per se von beruflichen Integrationsmassnahmen der IV ausgeschlossen werden.
Vieles ist allerdings noch offen, etwa was genau die Schadenminderungspflicht und die Zumutbarkeit im Falle von Menschen mit Abhängigkeit bedeuten. Dazu gibt es vonseiten BSV derzeit noch keine Vorgaben an die IV-Stellen. Die anwesenden Fachgruppenmitglieder plädierten dafür, dass für diese Definitionen unbedingt das Wissen von ausgewiesenen ExpertInnen, z.B. FachärztInnen für Psychiatrie und Psychotherapie mit dem Schwerpunkt Abhängigkeitserkrankungen, einbezogen werden soll.
Fest steht bereits, dass bei rechtkräftig abgelehnten Fällen keine Wiedererwägung von Amtes wegen erfolgt. Es braucht eine Neuanmeldung, die Chancen auf Erfolg haben kann, wenn sich der Gesundheitszustand ärztlich belegt verschlechtert hat.
Eine weitere zentrale Erkenntnis lautete: Ein sehr wichtiger Player sind die kantonalen IV-Stellen. Das BSV begleitet und berät diese. Es ist auf Informationen – auch von Akteuren der Suchthilfe - angewiesen, wozu die kantonalen IV-Stellen Weisungen «von oben» benötigen. Einige Fachstellen und Kliniken, etwa im Kanton Aargau, haben bereits einen Austausch mit der kantonalen IV-Stelle und den ÄrztInnen des Regionalen Ärztlichen Diensts (RAD) etabliert. Dieser persönliche Kontakt ist wichtig. Empfohlen wird Sucht-Fachstellen daher in jedem Fall, sich mit ihrer kantonalen IV-Stelle für einen fachlichen Austausch über Klienten und Patientinnen mit einer Abhängigkeit in Verbindung zu setzen.
Präsentation «Sucht und Invalidenversicherung. Änderung der Rechtsprechung» von Monika Tschumi, BSV
Newsletter «Handicap und Recht» zum Thema Praxisänderung des Bundesgerichts: IV-Rentenanspruch auch bei Suchterkrankung von Inclusion Handicap