Botschaft zum Tabakproduktegesetz: Schweiz darf bei der Tabakprävention nicht Schlusslicht bleiben

30.11.2018 / Der Bundesrat präsentierte dem Parlament heute ein Tabakproduktegesetz, das in zentralen Punkten beim Kinder- und Jugendschutz versagt. Eine Allianz aus 87 Organisationen fordert deshalb umfangreiche Anpassungen der Vorlage im National- und Ständerat.

Nach der Rückweisung einer ersten Vorlage 2016 hat der Bundesrat heute eine überarbeitete Botschaft für ein Tabakproduktegesetz verabschiedet und dem Parlament überwiesen. Der Vorschlag ist mutlos. Es fehlen wesentliche Verbesserungen zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor dem Marketing der Tabakkonzerne. Die Mitglieder der grossen und kleinen Kammer sind in der Pflicht, den selbst verschuldeten Schaden im Gesetzesentwurf wieder zu korrigieren. Die hier unterzeichnenden Organisationen werden die Mitglieder des National- und Ständerats in den nächsten Wochen und Monaten an diese Aufgabe erinnern.

Jede Stunde stirbt in der Schweiz eine Person an den Folgen des Rauchens. Das sind jährlich 9500 Personen. Gleichzeitig stagniert der Anteil der Raucherinnen und Raucher in der Schweiz seit 2011 bei hohen 25 Prozent1. Diese Tatsache zeigt: Die bisherigen Massnahmen reichen nicht. Es sind zusätzliche Anstrengungen und Massnahmen nötig, denn Tausende Tote pro Jahr und Zehntausende chronisch Kranke zu akzeptieren, darf für unsere Gesellschaft nicht annehmbar sein.

Forderungen für die parlamentarische Diskussion

Die unterzeichnenden Organisationen lehnen die Botschaft zum Tabakproduktegesetz in der bestehenden Form entschieden ab und fordern tiefgreifende Anpassungen der Gesetzesvorlage:

  • Ein lückenloses Werbeverbot für Tabakprodukte, das Printmedien, das Internet einschliesslich der sozialen Medien, Plakate, Kinos und Verkaufsstellen umfasst.
  • Keine Verkaufsförderung durch Gratisabgabe von Tabakprodukten, wie sie durch Hostessen in Clubs oder durch Rabattaktionen im Stil von 3 für 2 geschieht.
  • Kein Sponsoring öffentlicher und privater Anlässe durch Tabakfirmen.
  • Massnahmen zur Bekämpfung des illegalen Handels mit Tabakwaren. Fälschungssichere Sicherheitsmerkmale erlauben es, geschmuggelte und gefälschte Produkte zu erkennen.

Die Forderungen entsprechen dem Wunsch der Schweizer Bevölkerung: 58 Prozent befürworten ein allgemeines Werbeverbot für Tabakprodukte. Auch ein Verbot des Sponsorings von Kultur- und Sportveranstaltungen durch die Tabakindustrie trifft bei der Mehrheit der Bevölkerung auf Zustimmung2.

Mit einem umfassenden Verbot von Werbung, Promotion und Sponsoring für Tabakwaren würde die Schweiz einen der Hauptpunkte der internationalen Rahmenkonvention über die Tabakkontrolle der Weltgesundheitsorganisation WHO erfüllen. Diese regelt den Anbau, die Produktion und den Verkauf von Tabakwaren. Die Konvention ist das wichtigste Instrument für die weltweite Eindämmung der Tabakepidemie und wird von 181 Staaten anerkannt. Die Schweiz hat die Konvention im Jahr 2005 unterzeichnet, aber bislang nicht ratifiziert. In Europa haben dies, neben der Schweiz, nur Andorra, Liechtenstein und Monaco ebenfalls noch nicht getan.

Vorbild Uruguay

Dass es durchaus anders geht, zeigt ein Blick nach Uruguay. Dort entschlossen sich Regierung und Parlament vor über zehn Jahren für eine mutige, umfassende und konsequente Tabakpräventionspolitik. Unter anderem wurde 2006 beschlossen, Produktvarianten (Varianten derselben Marke mit Zusatzbegriffen wie «gold» und «mild») zu verbieten und Warnhinweise einzuführen, die 80 Prozent der Vorder- und Rückseite der Verpackung bedecken. Eine Klage des weltgrössten Tabakkonzerns Philip Morris International PMI gegen diese beiden Massnahmen vor einem internationalen Schiedsgericht, auf Basis des bilateralen Investitionsschutzabkommens zwischen der Schweiz und Uruguay, wurde 2016 von Uruguay gewonnen. Uruguay ging darauf noch einen Schritt weiter und kündigte 2017 an, neutrale Einheitspackungen (Plain Packaging) einzuführen. Eine Einsprache von British American Tobacco BAT lehnte das zuständige Berufungsgericht (El Tribunal de Apelaciones en lo Civil) diesen Oktober ab.

Das kleine Uruguay hat sich nacheinander weder von der weltweiten Nummer eins noch von der Nummer zwei im internationalen Tabakmarkt einschüchtern lassen und wird nun im Februar 2019 neutrale Einheitspackungen für Tabakprodukte einführen. Damit wird das südamerikanische Land eines der Länder mit den weltweit fortschrittlichsten Regeln zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakprodukten. Bereits seit 2014 gibt es in Uruguay auf Beschluss des Parlaments keine Tabakwerbung, -promotion und -sponsoring mehr, einschliesslich Werbung an den Verkaufsstellen.

Die bisherigen Erfolge Uruguays können sich sehen lassen: Zwischen 2009 und 2017 sank der Anteil Raucherinnen und Raucher von 25 Prozent auf unter 22 Prozent3.

Volksinitiative «Kinder ohne Tabak»

Als Reaktion auf die Rückweisung der ersten Vorlage und den neuen Vorschlag für ein Tabakproduktegesetz haben Gesundheitsorganisationen im Frühling 2018 die Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung» lanciert. Ziel der Initianten ist es, dass Kinder- und Jugendliche im öffentlichen Raum zukünftig nicht mehr Tabakwerbung auf Plakaten ausgesetzt sind. Auch Kinowerbung, Inserate, Festival-Sponsoring und Online-Werbung für Tabak soll es in Zukunft keine mehr geben.
www.kinderohnetabak.ch

Kontakt

Manuel Herrmann, Stellvertretender Generalsekretär Fachverband Sucht, 078 765 61 16

Medienmitteilung Botschaft zum Tabakproduktegesetz

Zeitplan

Zum ersten Vorentwurf zum Tabakproduktegesetz wurde 2014 eine Vernehmlassung durchgeführt. Die erste Botschaft präsentierte der Bundesrat anschliessend 2015. Diese lehnten National- und Ständerat 2016 ab. Für den neuen Vorentwurf des Bundesrates wurde vom Dezember 2017 bis März 2018 eine Vernehmlassung durchgeführt. Die heute dem Parlament überwiesene zweite Botschaft soll voraussichtlich 2019/2020 beraten und beschlossen werden.

Zahlen

Jedes Jahr sterben in der Schweiz rund 9500 Menschen an tabakbedingten Krankheiten. Das sind knapp 15 Prozent aller Todesfälle. Die drei häufigsten tabakbedingten Krankheitsarten sind Krebs mit 42 Prozent der Fälle (vor allem Lungenkrebs), Herzkreislaufkrankheiten mit 39 Prozent (Herzinfarkte, koronare Herzkrankheit und Folgeerkrankungen) sowie die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) mit 15 Prozent4.

Rauchen verursacht in der Schweiz jedes Jahr gesellschaftliche Kosten in Milliardenhöhe. Allein die direkten Kosten für die Behandlung von tabakbedingten Krankheiten belaufen sich auf 1,73 Milliarden Franken pro Jahr. Die indirekten Kosten durch Produktionsausfälle liegen bei über 3,9 Milliarden Franken.

 

1    Bundesamt für Statistik BFS (2017). Schweizerische Gesundheitsbefragung 2017, Neuenburg, Schweiz.

2    Kuendig H., Notari L., Gmel G.(2016). Publicité, prix et mises en garde: opinions et vécus relatifs à des législations sur les produits du tabac en 2015-2016 – Analyse des données du Monitorage suisse des addictions, Addiction Suisse, Lausanne, Suisse.

3    Uruguay Ministry of Public Health (2018). GATS Global Adult Tobacco Survey: Comparison Fact Sheet Uruguay 2009 & 2017, Ministry of Public Health, Montevideo, Uruguay.

4     Bundesamt für Statistik BFS (2015). Todesursachenstatistik: Tabakbedingte Todesfälle in der Schweiz, 1995 bis 2012, Neuenburg, Schweiz.
 

Unterzeichnende Organisationen

Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention Schweiz
Krebsliga Schweiz
Lungenliga Schweiz
Schweizerische Herzstiftung
Sucht Schweiz
Aargauischer Ärzteverband
aebi-hus, Schweizerische Stiftung für Suchthilfe
Akademie Menschenmedizin
Akzent Prävention und Suchttherapie
Allianz ‚Gesunde Schweiz‘
Ärztegesellschaft des Kantons St. Gallen
Ärzte-Gesellschaft des Kantons Zug
Ärztegesellschaft Thurgau
Association des Médecins du Canton de Genève AMGe
Associazione consumatrici e consumatori della Svizzera italiana
Associazione Svizzera Non-fumatori ASN
Beratungszentrum Baden Plus (BZBplus)
Berner Gesundheit
Bernische Krebsliga
Blaues Kreuz Schweiz
Bündner Ärzteverein
CIPRET-Genève
CIPRET Jura
Collège romand de médecine de l’addiction (CoRoMA)
diabetesschweiz
Die Gesundheitsligen des Kantons Freiburg: Krebsliga Freiburg, Lungenliga Freiburg, diabetesfreiburg,
CIPRET Freiburg
Fachverband Sucht
Fédération romande des consommateurs
Fédération suisse des patients - section romande
GELIKO Schweizerische Gesundheitsligen-Konferenz
Konferenz der kantonalen Ärztegesellschaften (KKA)
Krebsliga Ostschweiz
Krebsliga Zentralschweiz
Krebsliga Zug
LCH Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz
Ligue genevoise contre le cancer
Ligue Neuchâteloise contre le cancer
Ligue pulmonaire genevoise
Ligue pulmonaire vaudoise
Ligue vaudoise contre le cancer
Lungenliga Aargau
Lungenliga beider Basel
Lungenliga Bern
Lungenliga Glarus
Lungenliga Solothurn
Lungenliga St.Gallen – Appenzell
Lungenliga Wallis
Lungenliga Zentralschweiz
OxySuisse
pharmaSuisse, Schweizerischer Apothekerverband
Public Health Schweiz
Pro Juventute
Promotion santé Valais
Promotion Santé Vaud
REPER Fribourg - Gesundheitsförderung und Prävention
Schweizerische Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände SAJV
Schweizerische Gesellschaft der Fachärztinnen und -ärzte für Prävention und Public Health
Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM)
Schweizerische Gesellschaft für Angiologie
Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG) gynécologie suisse
Schweizerische Gesellschaft für Kardiologie (SGK)
Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie SGP
Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrische Pneumologie (SGPP)
Schweizerische Gesellschaft für Pneumologie (SGP)
Schweizerische Liga Leben und Gesundheit (LLG)
Schweizerische Lungenstiftung Swiss Lung
Schweizerische Ophthalmologische Gesellschaft (SOG SSO)
Schweizerische Stiftung Patientenschutz SPO
ScolarMed CH – Schweizerische Vereinigung der Fachpersonen im schulärztlichen Dienst
Stiftung für Konsumentenschutz
Stiftung IdéeSport
Stillförderung Schweiz
Suchthilfe Ost
Swiss Dental Hygienists
Swiss Medical Students' Association (swimsa)
Swiss School of Public Health (SSPH+)
Syndicat des enseignants romands (SER)
Vereinigung der Kantonszahnärzte und der Kantonszahnärztinnen der Schweiz (VKZS)
Verein Prävention Hautnah
Verein Schweizerischer Gymnasiallehrerinnen und Gymnasiallehrer VSG
Walliser Ärztegesellschaft (VSÄG)
Zürcher Fachstelle zur Prävention des Alkohol- und Medikamenten-Missbrauchs (ZüFAM) im Namen der
Stellen für Suchtprävention im Kanton Zürich
Züri Rauchfrei