Synthesebericht zu problematischer Internetnutzung in der Schweiz veröffentlicht

30.11.2020 / Im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) verfolgte eine Gruppe von Expertinnen und Experten aus der Suchthilfe und -prävention Entwicklungen im Bereich der problematischen Internetnutzung in der Schweiz in den Jahren 2018-2020. Als Ergebnis wurde heute vom Fachverband Sucht und GREA ein Synthesebericht veröffentlicht. Der Bericht stützt sich auf die Einschätzungen der Expertinnen und Experten, auf die aktuelle Fachliteratur und auf neu für die Schweiz erschienene epidemiologische Daten.

Laut der Schweizerischen Gesundheitsbefragung 2017 sind 3,8% der Bevölkerung ab 15 Jahren, umgerechnet also rund 270'000 Personen, von einer problematischen Internetnutzung betroffen. Die jüngste erfasste Kategorie (15-24 Jahre) ist mit 11,2% die am stärksten betroffene Altersgruppe. Eine problematische Internetnutzung ist nicht mit einer «Onlinesucht» gleichzusetzen, kann aber zu einer solchen führen.

Eine allgemeingültige Definition und offizielle Diagnosekriterien was «Onlinesucht» ist, existieren nach wie vor nicht.

Laut den Expertinnen und Experten besteht jedoch mittlerweile ein Konsens, dass die Anwendungen und nicht das Medium Internet selbst eine allfällige Sucht auslösen. Eine Person mit Internetbezogener Störung (IBS) ist also in diesem Sinn nicht vom Internet abhängig, sondern lebt eine oder mehrere Verhaltenssüchte (zum Beispiel Gaming- oder Social-Media-Sucht, Geldspiel-, Kauf- oder Pornosucht) im Internet aus.

 

Frauen und Mädchen tauchen nicht im Versorgungssystem auf, trotz bestehender Problematiken

Auch wenn Untersuchungen ähnliche Häufigkeiten von internetbezogenen Störungen bei Frauen und Männern zeigen, werden in der Suchthilfe und -prävention fast ausschliesslich männliche Klienten betreut. Eine der Empfehlungen der Expertinnen und Experten ist es, sowohl in der Forschung als auch bei Präventions- und Behandlungsangeboten gender-sensitive Aspekte stärker einzubeziehen.

 

Gaming disorder gemäss WHO eine Krankheit

Die gaming disorder, auf Deutsch in etwa «Computerspielsucht», wurde von der Weltgesundheitsorganisation in ihren Katalog der anerkannten Krankheiten aufgenommen. Das ist gemäss den Expertinnen und Experten auf der einen Seite positiv, weil in Zukunft nicht nur Menschen mit einer Abhängigkeit von Substanzen (wie Alkohol), sondern auch Menschen mit einer Abhängigkeit von Verhaltensweisen besser geholfen werden kann. Gleichzeitig heisst das nicht, dass das Gamen generell negativ ist, es ist auch ein wichtiges (Jugend-)Kulturgut. Die Auswirkungen der Klassifikation als Krankheit auf IBS – insbesondere auf deren Behandlung – müssen laut den Expertinnen und Experten zukünftig intensiv begleitet und erforscht werden.

 

Weitere Inhalte des Syntheseberichts und Empfehlungen der Expertinnen und Experten

Die technologische Entwicklung im Bereich Gaming und Gambling und der sozialen Medien ist rasant. Als Beispiele erklärt der Synthesebericht etwa die Funktionsweise von Fortnite und TikTok. Präventions- und Behandlungsangebote existieren in der Schweiz, müssen aber noch ausgebaut werden. Die Expertinnen und Experten empfehlen als Konsequenz aus ihren Beobachtungen der letzten Jahre Anpassungen der bestehenden Gesetzgebung beim Jugendschutz und bei Lootboxen.  So wird im Bundesgesetz zum Jugendschutz in den Bereichen Film und Videospiele die Regulierung des Zugangs von Minderjährigen zu besonders süchtig machenden Games gefordert. Forschungsbedarf besteht etwa zur Frage wie IBS und Substanzkonsum interagieren. Wichtig ist, dass internetbezogene Störungen früh erkannt werden. Dabei haben Erziehungsberechtigte und Lehrpersonen eine entscheidende Rolle. Viele Eltern und Lehrpersonen sind zwar heute schon sensibel für das Thema Internetnutzung, müssen aber aus Sicht der Expertinnen und Experten in den nächsten Jahren in ihrer Rolle noch gestärkt werden.

 

Medienmitteilung 30.11.2020

Synthesebericht Problematische Internetnutzung

 

Kontakt

Cédric Stortz, Projektleiter Fachverband Sucht, 044 266 60 68

Célestine Perissinotto, Responsable de projet GREA, 024 420 22 60