«Fortführende Begleitung» im Suchtbereich: Ergebnisse aus der Befragung von Sucht-Fachpersonen und betroffenen Personen
29.04.2024 / Der Fachverband Sucht widmete sich 2023 gemeinsam mit dem GREA und Ticino Addiction der Nachsorge im Suchtbereich. Im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit haben die drei Organisationen untersucht, ob ein vorgängig erarbeitetes theoretisches Konzept zur Nachsorge mit den Erfahrungen der Praxis übereinstimmt. Zum Zweck der Analyse wurden Sucht-Fachpersonen und Menschen mit einer Abhängigkeit befragt. Die Ergebnisse zeigen Unterschiede zwischen Praxis und Theorie sowie die Notwendigkeit neuer Ansätze auf.
Wie die Studie von Sucht Schweiz zeigt, richtet sich Nachsorge gemäss wissenschaftlicher Literatur (siehe Studie von Sucht Schweiz, 2022) an alle Personen, die sich nach einer intensiveren Behandlungsphase in einem stabilisierten Suchtzustand befinden. Nachsorge umfasst alle Massnahmen und Aktivitäten, die darauf abzielen, solche Personen auf ihrem weiteren Weg der biologischen, psychischen und sozialen Festigung zu begleiten und ihnen zu grösserer Eigenständigkeit zu verhelfen. Psychosoziale Massnahmen rücken dabei in den Vordergrund. Die Massnahmen geschehen vorwiegend ambulant. Durch Fallbegleitung wird eine lückenlose Anbindung zwischen der Nachsorge und den umliegenden Settings im Behandlungspfad garantiert.
Welche Aspekte des theoretischen Konzepts Nachsorge finden in der Praxis Zustimmung?
Wie die Befragung der Sucht-Fachpersonen und Menschen mit einer Abhängigkeit zeigen, finden einige Aspekte der oben erwähnten Definition von Nachsorge in der Praxis Zustimmung: Nachsorge-Angebote zielen darauf ab, die Autonomie von Menschen mit einer Abhängigkeit zu fördern und sie beim Wiedereinstieg in verschiedene Bereiche der Gesellschaft zu begleiten. Bedürfnisse und Behandlungsverläufe sind individuell. Dies erfordert Flexibilität seitens der Institutionen und Fachpersonen. Dabei spielen die Vernetzung und Koordination mit anderen Institutionen aus dem Suchtbereich und dem erweiterten bio-psycho-sozialen Netz eine wichtige Rolle. Eine gute Beziehung mit Fachpersonen macht es den betroffenen einfacher, ihre Bedürfnisse zu äussern und Unterstützung einzuholen.
Welche Aspekte des theoretischen Konzepts Nachsorge finden in der Praxis keine Zustimmung?
Aus Sicht der Praxis setzt das theoretische Konzept von «Nachsorge» ein sequenzielles, lineares und chronologisches Verständnis eines Behandlungspfades voraus. Nach diesem Verständnis durchlaufen betroffene Personen auf dem Weg zum Erfolg verschiedene Etappen in einer festgelegten Reihenfolge. Die Erfahrungen aus der Praxis zeigen jedoch, dass die Suchtproblematik der betroffenen Personen sehr individuell verläuft und keinem vordefinierten Ablauf folgt. Viel eher handelt es sich um einen individuellen Krankheitsverlauf, der eine bedürfnisorientierte und kontinuierliche Begleitung erfordert, welche Jahre oder sogar ein ganzes Leben lang andauern kann. Zudem lässt sich Nachsorge aus Sicht der Praxis auch nicht einem bestimmten Kompetenzbereich zuordnen. Vielmehr geht es um die enge Verzahnung des medizinischen, psychologischen und sozialen Bereichs.
«Fortführende Begleitung» als möglicher Lösungsansatz
Die Ergebnisse aus der Befragung der Sucht-Fachpersonen und Menschen mit einer Abhängigkeit deuten darauf hin, dass sich die Praxis der Nachsorge weiterentwickelt hat und mittlerweile von den aus der wissenschaftlichen Literatur abgeleiteten Erkenntnissen abweicht. Der Begriff «fortführende Begleitung» statt «Nachsorge» bietet einen möglichen Lösungsansatz, diese Lücke zu schliessen, da er soziale, medizinische und psychologische Aspekte umfasst und den Aspekt der Chronizität und des nicht-linearen Verlaufs einer Abhängigkeitserkrankung besser abbildet.
Die Ergebnisse der Befragungen der Sucht-Fachpersonen und Menschen mit einer Abhängigkeit finden sich in der Zusammenfassung des Schlussberichts sowie im dazugehörigen Faktenblatt. Der vollständige Schlussbericht liegt nur in französischer Sprache vor.
Schlussbericht «Nachsorge im Suchtbereich» (französisch inkl. Zusammenfassung auf Deutsch)Faktenblatt «Nachsorge im Suchtbereich»
Faktenblatt «Nachsorge im Suchtbereich» (französisch)
Faktenblatt «Nachsorge im Suchtbereich» (italienisch)