Alkoholpolitik

Nach dem Scheitern der Totalrevision des Alkoholgesetzes 2015 ist es ruhig geworden um die nationale Alkoholpolitik.

Handlungsbedarf und politische Realität

In der Alkoholpolitik in der Schweiz gibt es einen starken Kontrast zwischen Handlungsbedarf und politischer Realität. Alkoholpolitische Themen haben im nationalen Parlament derzeit keine Relevanz. Dabei haben sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse weiterentwickelt: Es gibt, anders als bisher angenommen, keinen Konsum von Alkohol ohne gesundheitliche Nachteile. Länder wie Deutschland und Kanada haben ihre Konsumempfehlungen angepasst: Je weniger Alkohol, desto besser. Eine vergleichbare nationale Kommunikation fehlt in der Schweiz. Auch die erwiesenermassen sehr wirksamen und kostengünstigen «WHO best buys» (Werbeverbot, Besteuerung, Einschränkung der Erhältlichkeit) haben zwar bei der Bevölkerung, nicht aber bei den Entscheidungsträger:innen Rückhalt. Und Jugendliche kommen mangels Alterskontrolle in Onlineshops sehr einfach an Alkohol.

Der Fachverband Sucht ist eng mit weiteren Organisationen der Zivilgesellschaft vernetzt, führt Hintergrundgespräche und beobachtet die politischen Opportunitäten genau.

Totalrevision des Alkoholgesetzes

Hauptziel der Totalrevision des Alkoholgesetzes war, den problematischen Alkoholkonsum zu vermindern und insbesondere die Jugend zu schützen. Im Verlauf des Gesetzgebungsprozesses geriet dieses Ziel immer mehr aus den Augen. An seine Stelle traten Massnahmen, die den Absatz einheimischer Spirituosen fördern. Schlussendlich wurde der Prozess 2015 infolge unüberbrückbarer Differenzen zwischen Nationalrat und Ständerat abgebrochen. Der Bundesrat hat daraufhin entschieden, nur die unbestrittenen Teile der Totalrevision umzusetzen. Dazu gehörte die Liberalisierung der Ethanoleinfuhr und die Integration der EAV in die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV). Mangels Dringlichkeit wird laut Bundesrat vorläufig auf eine zweite Teilrevision verzichtet.

Phase der Deregulierung ab 2015

Das Scheitern der Alkoholgesetzrevision wurde für verschiedene Versuche genutzt, die geltende Gesetzgebung rund um Alkohol zu lockern.

Motion «Für gleich lange Spiesse»
2017 stimmten National- und Ständerat der Motion «Für gleich lange Spiesse. Verkauf und Ausschank von Alkohol auch auf Autobahnraststätten zulassen» zu. Seit 2021 darf an Autobahnraststätten in der Schweiz wieder Alkohol verkauft und ausgeschenkt werden, nachdem dies 50 Jahre lang verboten war. Der Fachverband Sucht hatte sich entschieden gegen die Motion eingesetzt. Jeder achte schwere Unfall im Strassenverkehr wird durch Alkohol mitverursacht. Am Wochenende ist es sogar jeder zweite.

Stellungnahme Koalition Alkoholverkauf Raststätten vom 5. September 2017

Parlamentarische Initiative «Aufhebung der diskriminierenden Biersteuer»
SVP-Nationalrat Claudio Zanetti verlangte in der Parlamentarischen Initiative «Aufhebung der diskriminierenden Biersteuer»  die Aufhebung des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2006 über die Biersteuer. Der Nationalrat lehnte die Initiative am 4. März 2019 mit 110 zu 70 Stimmen bei 3 Enthaltungen ab, der Vorstoss war damit vom Tisch. Der Fachverband Sucht hatte sich gemeinsam mit Partner:innen gegen die Abschaffung eingesetzt.

Ordnungsbussenverordnung
Nach Interventionen des Fachverbands Sucht und seiner Mitglieder sah der Bundesrat 2019 davon ab, den Verkauf von Alkohol an Jugendliche unter 16 bzw. 18 Jahren wie ursprünglich vorgesehen mit einer einfachen Ordnungsbusse zu ahnden.

Stellungnahme des Fachverbands Sucht zur Ordnungsbussenverordnung vom 18. Juli 2017
Weiterführende Informationen: Webseite des Bundesamts für Justiz

Via Sicura-Massnahme «Obligatorische Nachschulung»

Innerhalb des Massnahmenpaket des Bundes für mehr Sicherheit im Strassenverkehr «Via Sicura» war seit 2012 geplant, obligatorische Kurse zur Nachschulung von Personen, denen der Führerausweis entzogen wurde, umzusetzen. Teilgenommen hätten zum Beispiel Personen, die alkoholisiert oder unter Drogeneinfluss gefahren sind. Derartige Kurse gibt es schon heute, allerdings ist die Teilnahme heute freiwillig (sogenannte FiaZ- oder FuD-Kurse). Der Fachverband Sucht unterstützte die Einführung der Kurse, indem er die Machbarkeit (Positionspapier zur Eignung der Suchtfachstellen als Anbieter der obligatorischen Nachschulung) sowie die Wirksamkeit und den positiven Kosten-Nutzen-Faktor (Vernehmlassungsantwort) herausstrich.

Die Umsetzung der «Obligatorischen Nachschulung» hat sich aus verschiedenen Gründen (siehe Dokument zur Entwicklung der Massnahme «Obligatorische Nachschulung» 2012-2023) jahrelang verzögert, bis sie – obwohl vom Bundesrat gestützt - mit der 2023 abgeschlossenen Revision des Strassenverkehrsgesetz vom Parlament gestrichen wurde.

Andere Länder machen positive Erfahrungen mit obligatorischen Nachschulungen (z.B. Österreich). Der Fachverband Sucht wird das Thema «Substanzkonsum und Fahrtüchtigkeit» aktuell nur noch beobachtend begleiten. Wenn es die politischen Opportunitäten erlauben, wird er seine diesbezüglichen Forderungen wieder einbringen.
Entwicklung Massnahme «Obligatorische Nachschulung» 2012-2023

Weitere Arbeitsergebnisse des Fachverband Sucht

2013 gab der Fachverband Sucht ein Rechtsgutachten zur Machbarkeit eines Mindestpreises auf Alkohol in Auftrag. Das Gutachten kam – entgegen eines älteren Gutachtens – zum Schluss, dass die Einführung eines Mindestpreises auf alkoholischen Getränken nicht im Widerspruch zu geltenden Gesetzen und internationalen Abkommen steht.

Rechtsgutachten vom 29. Mai 2013

Zusammenfassung des Rechtsgutachtens